Interview mit Prof. Dr. Klaus Wolf

Die Projektgruppe «Forschung & Entwicklung» hat ihre Schwerpunkte für die kommende Ausschreibung gesetzt. Mitentschieden hat hierbei auch Prof. Dr. Klaus Wolf, der Gründer der Forschungsgruppe Pflegekinder und der Forschungsgruppe Heimerziehung der Universität Siegen. In einem Interview beleuchtet er sein Engagement für benachteiligte Kinder und die Bedeutung des Forschungsprojektes «Pflegekinder – next generation».

Klaus Wolf, Sie gelten als einer der wichtigsten Wissenschaftler im Bereich der Pflegekinderhilfe. Woher stammt Ihr Forschungsinteresse?

Menschen mit schwierigen Biografien haben mich schon immer fasziniert, während mich die gesellschaftliche Abwertung eben dieser Menschen abgestossen hat. Schon lange vor der akademischen Karriere habe ich mich für Kinder engagiert, die unter ungünstigen Verhältnissen aufwachsen. Wie ist es möglich, dass sich diese Kinder selbstbestimmt und zufrieden entwickeln und manchmal sogar ein glückliches Leben führen können? Was können wir beitragen, dass sich ihre Situation verbessert. Dies wollte ich wissen.

Sie waren stets in Deutschland tätig, an verschiedenen Forschungsstätten und ab 2002 als Professor für Sozialpädagogik an der Universität Siegen. Hatten Sie Berührungspunkte zur Schweiz?

Schon früh tauchten bei den Kongressen etwa Schweizer Kolleginnen und Kollegen auf. Sie zeigten uns, dass die Probleme hier wie dort sehr ähnlich liegen, sie berichten aber auch von grossen Unterschieden.

Nämlich?

Nun, der Unterschied zwischen der Deutschschweiz und der Westschweiz ist das eine. Das andere ist die Tatsache, dass die Pflegekinderhilfe beispielsweise im Kanton Appenzell Innerhoden ganz anders sein kann als in St. Gallen. Diese grosse Vielfalt springt einem ins Auge und bietet ein wunderbares Forschungsfeld.

Ist das der Grund, warum sie beim Projekt «Pflegekinder –  next generation» zugesagt haben?

Ja, als ich von diesem Projekt gehört habe, fand ich dieses sogleich faszinierend. Denn Forschung zu Pflegekindern gab es in der Schweiz bis anhin nur isoliert und punktuell. Wohl auch die Aufarbeitung des Verdingkinderwesens hat hier zu einem Umdenken geführt. Man will jetzt wissen, was damals war und man will erfahren, wie es heute ist. Wenn es nun durch dieses Projekt «Pflegekinder – next generation» einen Schub geben kann, dann ist dies nicht nur für mich als Wissenschaftler interessant, sondern es ist auch für die Pflegekinder in der Schweiz und hoffentlich die ganze Gesellschaft äusserst bedeutungsvoll.

Eine umfassende Forschungsbedarfsanalyse wurde gemacht. Was hat diese gezeigt?

Die Analyse hat gut vermessen, welche Forschungs- und Wissensbestände es gibt und wo Lücken bestehen. Die Aufgabe von unserer Projektgruppe «Forschung & Entwicklung» war es dann, die Schwerpunkte zu setzen. Es geht eben nicht darum, mit einem Forschungsprojekt gleich alle Lücken schliessen zu wollen – bei solch einer «eierlegenden Wollmilchsau» käme nichts Halbes und nichts Ganzes heraus.

Die Schwerpunkte wurden gesetzt. Da geht es einerseits um die «Partizipation der Pflegekinder».

Dieses Projekt ist überfällig. Alle sagen, die Kinder sollen im Mittelpunkt stehen. Aber jeder und jede, der mit Pflegekindern zu tun hat, weiss, wie oft sie sich ungehört und unverstanden fühlen. Die Kinder, um die es eigentlich geht, sind im Prozess oftmals zu wenig eingebunden. Wie können wir das ändern – dies muss uns interessieren.

Ein zweites Projekt beschäftigt sich mit der «guten Begleitung». Worum geht es da?

In der Bevölkerung gibt es die Vorstellung, dass mit «guten Pflegeeltern» alles klappt. Wenn es doch nur so einfach wäre. Das Gegenteil ist der Fall, vieles ist kompliziert: Pflegekinder, Pflegeeltern und auch die leiblichen Eltern – sie alle brauchen viel Unterstützung, damit sie es gemeinsam gut hinkriegen.

Und dann wäre noch die vergleichende Studie. Warum liegt Ihnen diese am Herzen?

Die vergleichende Studie ist darum spannend, weil es diese ganz spezielle, heterogene Ausgangslage nur in der Schweiz gibt. Die kantonalen Unterschiede kann man forschungsmässig bestens nutzen und sich fragen: Welche Folge hat es, wenn ein Kanton so oder anders organisiert ist? Welche Wechselwirkung gibt es zwischen den rechtlichen Regelungen und der Entwicklung bei Pflegefamilien. Wo lohnt es sich, mehr zu investieren und wo weniger. Dieses Forschungsprojekt kann, davon bin ich überzeugt, brisante Ergebnisse produzieren.

Was für Forschungsgruppen wünscht man sich?

Wir wollen in erster Linie Forschende, die nicht nur aufzeigen, was falsch läuft, sondern auch Ideen entwickeln, wie man es besser machen kann. Insbesondere bei der «guten Begleitung» und den «unterschiedlichen Strukturen» braucht es Gruppen, die Daten vergleichen können. Vor diesem Hintergrund wären überregionale Forschungsgruppen interessant. Ich denke da an Kooperationen zwischen Hochschulen, die auch nach unserem Projekt weiterleben. Gelingt dies, ist das Forschungsprojekt «Pflegekinder – next generation» nicht nur visionär, sondern auch nachhaltig.