Interview mit Gael Plo

Gael Plo ist ein erfolgreicher Fürsprecher für die Sache der Careleaver:innen. Für sein Engagement wurde er unter anderem mit dem Basler Sozialpreis geehrt. Von der Universität St. Gallen wurde er zur Führungskraft von morgen ernannt. Auf Bundes- und kantonaler Ebene will er die Anliegen der Careleaver:innen besser verankern und ihnen hierfür eine starke Stimme geben: «Wir sind fest davon überzeugt, dass neben Fachexpertinnen und Fachexperten auch Erfahrungsexpertise im Diskurs unerlässlich ist», erklärt der «Cheflobbyist» von Careleaver Schweiz im Interview.

 

Gael Plo – Sie sind offizieller «Chef-Lobbyist» der Schweizer Careleaver. Warum braucht es die spezifische politische Einflussnahme?

Derzeit fehlen sowohl auf Bundes- als auch auf kantonaler Ebene gesetzliche Grundlagen in Bezug auf die Careleaver-Thematik. Als Lobbyist setzte ich mich mit dem Verein Careleaver Schweiz gemeinsam dafür ein, diese Situation zu verändern. Wir sind fest davon überzeugt, dass neben Fachexpert:innen auch Erfahrungsexpertise im Diskurs unerlässlich ist.

 

Wie bringt Ihr Euch in den genannten politischen Diskurs ein?

Wir sind mit verschiedenen Politiker:innen auf kantonaler und Bundesebene in Kontakt. Wir haben die parlamentarische Gruppe „Leaving Care – ehemalige Heim- und Pflegekinder“ in Bundesbern gegründet und bringen zwei- bis dreimal im Jahr die Careleaver-Thematik im Bundeshaus den Parlamentarierinnen und Parlamentariern näher. Zusätzlich haben wir in über 12 Kantonen Vorstösse eingebracht. Bis Ende 2024 ist unser Ziel, in allen 26 Kantonen Vorstösse einzubringen.

 

Was für konkrete politische Ziele habt Ihr Euch gesetzt?

Ich kann gerne ein Beispiel geben: Im Durchschnitt verlassen junge Menschen in der Schweiz im Alter von 24 Jahren das Elternhaus. In einigen Kantonen müssen Pflege- und Heimkinder jedoch bereits mit 18 Jahren nach Abschluss ihrer Erstausbildung die Betreuungseinrichtungen verlassen. Daher setzen wir uns dafür ein, dass dieses Alter in allen Kantonen auf das 25. Lebensjahr angehoben wird.

 

Habt Ihr in einem Bereich bereits einen politischen Erfolg verzeichnet?

Ja, im Kanton Basel-Stadt konnten wir den sogenannten Careleaver-Status einführen. Dieser Status ermöglicht Careleavern unter anderem, nach dem Austritt für einen begrenzten Zeitraum in ihre Betreuungseinrichtung zurückzukehren, um Unterstützung zu erhalten. Zudem soll ein Zertifikat den Umgang mit Behörden erleichtern. Unser Ziel ist es jetzt, diesen Careleaver-Status in allen Kantonen einzuführen.

 

Was für eine Bedeutung hat die Wissenschaft für Eure politische Arbeit?

Die Wissenschaft nimmt sowohl im Dachverein Careleaver Schweiz als auch in den kantonalen Netzwerken einen bedeutenden Stellenwert ein. Die kantonale Netzwerke Zürich und Basel wurden auf Grund von Studien der FHNW und ZHAW ins Leben gerufen. Gelegentlich stellen Mitglieder unserer Netzwerke sich für Studien zu Careleaver-spezifischen Themen zur Verfügung. Unsere politischen Forderungen basieren hauptsächlich auf den Erfahrungen von aktiven Careleaver:innen in unseren Netzwerken sowie auf Problemen, die in der Sozialarbeit bereits bekannt sind, aber bislang noch nicht politisch angegangen wurden. Wir stützen uns ebenso auf Forschungsergebnisse und Empfehlungen, wie sie von der SODK und KOKES bereitgestellt werden.

 

Was erhoffen Sie sich vom Projekt «Pflegekinder – next generation»?

Ich erwarte vom Projekt „Pflegekinder – next generation“ eine umfassende und fundierte Analyse des aktuellen Pflegekindersystems in der Schweiz. Von zentraler Bedeutung ist es, die Perspektiven und Erfahrungen der Pflegekinder selbst in den Mittelpunkt zu stellen, um sicherzustellen, dass ihre Bedürfnisse und Anliegen angemessen berücksichtigt werden.

Darüber hinaus wird der Vergleich der kantonalen Strukturen uns helfen, systemische Stärken und Schwächen zu erkennen. Insgesamt erhoffe ich mir, dass die Ergebnisse dieser Studie konkrete Handlungsempfehlungen liefern werden, um das Leben von Pflegekindern in der Schweiz zu verbessern und ihnen eine stabilere und unterstützende Umgebung zu bieten.

 

25. August 2023

Foto: Kostas Maros 

 

 

 

Interview mit Meryem Oezdirek

Im Herbst dieses Jahres hat Gabriele Rauser Integras verlassen. Wir danken Gabriele Rauser für all Ihre Arbeit, die sie innerhalb unserer Projektgruppe «Forschung & Entwicklung» geleistet hat und begrüssen Meryem Oezdirek im Gremium. Seit Oktober ist Meryem Oezdirek die Co-Geschäftsleiterin bei Integras. Im Interview erklärt sie, warum der Fachverband Sozial- und Sonderpädagogik auf den Dialog zwischen Forschung und Praxis setzt, und warum Integras besonders auch an nutzbaren Ergebnissen interessiert ist.

Das Projekt «Pflegekinder – Next generation» ist stark auf den Dialog ausgerichtet. Ist dieser Austausch – insbesondere zwischen Forschung und Praxis – ein Standard in der heutigen Forschungslandschaft?

Meines Erachtens ist der Austausch zwischen den verschiedenen Ansprechgruppen, wie sie sich in diesem Forschungsprojekt zeigt, aussergewöhnlich. Anstatt eines linearen Wissenstransfers von der Forschung zur Praxis ist hier, bei diesem Projekt, ein wechselseitiger Wissensaustausch Ziel dieses Dialogs. Dieser Ansatz überzeugt mich.

Was bringt der Dialog zwischen Forschung und Praxis konkret?

Die Forschung profitiert vom enormen Erfahrungsschatz der Fachleute und kann deren Fragen aufnehmen. Die Praxis wiederum kann die Wissensgrundlagen weiterentwickeln. Hierzu wird die Praxis auch kritisch hinterfragt, was letztlich im Interesse der Pflegekinderhilfe ist.

Sie haben an mehreren Dialog-Anlässen teilgenommen, bei denen der Austausch im Zentrum stand. Was ist Ihnen aufgefallen?

Bei allen Anlässen bestand eine grosse Offenheit und man war bemüht, ein gegenseitiges Verständnis zu schaffen. Auch zwischen den Teilnehmenden fand ein intensiver Austausch statt. Dieser wurde aktiv und methodisch moderiert. Auf dieser Basis konnte und kann ein echter Dialog stattfinden.

Nur auf der fachlichen Ebene?

Nein, der Dialog geht beim Projekt «Pflegekinder – next generation» viel weiter. Bei den Forschungsteams wurde der «Röstigraben» und der «Kantönligeist» durch eine überregionale und interdisziplinäre Zusammensetzung überwunden. An den Dialogveranstaltungen selbst wurden Banden geschmiedet zwischen Fachpersonen, Forschenden, Vertretende der Kantone und Verbände, die aus den unterschiedlichsten Ecken und Enden der Schweiz kommen.

Forschung muss nützlich sein, sagte Professor Klaus Wolf an einer Dialogveranstaltung. Auch im Hinblick auf die Schlussresultate, die in einem Jahr vorliegen werden: Was ist Ihnen wichtig in dieser Schlussphase?

Ich unterstütze diese Aussage. Zwar geht es in der Forschung immer auch um Theoriegenerierung. Die Forschung selbst zielt in unserem Kontext aber auf die langfristige Verbesserung und Entwicklung der Pflegekinderhilfe. Damit der Wissensgewinn «nützlich» ist, braucht es meines Erachtens Fachpersonen, welche die Erkenntnisse nutzbar machen. Daher ist meines Erachtens dieser Dialog und eine Kooperation zentral. Das eine gelingt nur partiell ohne das andere.

Ein spannender Auftakt

Am 21. November fand die erste Dialoggruppe im Jahr 2022 statt. Zahlreiche Fachpersonen aus privaten Organisationen und staatlichen Stellen, die Dienstleistungen in der Familienpflege erbringen, versammelten sich im Farelhaus in Biel. Sie haben sich über die jüngsten Zwischenerkenntnisse zur Partizipation und zur Begleitung von Pflegeverhältnissen ausgetauscht. Im Video werfen wir einen Blick zurück auf einen gelungenen Anlass mit spannenden Dialogen.

Grosses Interesse in den Kantonen

Das Projekt «Pflegekinder – next generation» hat am 8. November 2022 über 50 Fachpersonen aus den KESB, Berufsbeistandschaften und Jugend- und Sozialdienste nach Bern gelockt. Sie haben sich über das Projekt informieren lassen und ihre Expertise eingebracht. Am Nachmittag haben Vertretende aus den kantonalen Verwaltungen grosses Interesse an der Studie «Vergleich von kantonalen Strukturen» gezeigt.

Den Anfang machte Professorin Diana Wider, die Generalsekretärin der KOKES. In ihrem Inputreferat zeigte sie klar und deutlich auf, dass die Pflegekinderhilfe als Verbundaufgabe verstanden werden muss. Joanna Bärtschi wiederum, die Fachbereichsleiterin Kinder und Jugend der SODK, legte den Teppich zu den Forschungsprojekten. Denn insbesondere die «Partizipation von Pflegekindern» sei eines der prioritären Ziele der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren.

Partizipation und gute Begleitung von Pflegeverhältnissen

Was bedeutet Partizipation im Pflegekinderbereich? Wer ist Vertrauenspersonen und welche Rolle können diese einnehmen? Erste Antworten auf diese Fragen gaben Professor Gisela Kilde und Dr. Anette Cina von der Universität Freiburg. In der Folge entwickelte sich eine angeregte Diskussion mit den anwesenden Fachleuten aus der KESB und der Berufsbeistandschaft wie auch von Jugend- und Sozialdiensten aus der ganzen Schweiz. Professorin Daniela Reimer und Dr. Ida Brink, beide von der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW), zeigten verschiedene Dimensionen der Begleitung von Pflegeverhältnissen auf und werfen unter anderem die Frage in die Runde: «Was braucht es um Begleitung niedrigschwelliger und für alle zugänglich zu gestalten – und gleichzeitig den Bedürfnisse und Erwartungen aller Beteiligten zu begegnen?» Beatrice Kalbermatter vom Bundesamt für Justiz, rundet den Vormittag ab mit einem Input zur Bedeutung der Statistik für die Pflegekinderhilfe.

Vergleich von kantonalen Strukturen

Am Nachmittag präsentierten Professorin Béatrice Lambert der Hochschule für Soziale Arbeit in Freiburg (HETS FR) und Professor Stefan Schnurr von der Hochschule für Soziale Arbeit (FHNW) unter anderem eine Landkarte zu verschiedenen kantonalen Typen von Pflegekindersystemen in der Schweiz. Diese ist ein vorläufiges Ergebnis und deswegen eine ideale Vorlage für das Gespräch mit der Praxis. Die Zwischenergebnisse machen zudem eine Tendenz deutlich: im Feld der Pflegekinderhilfe haben Behörden, Verwaltungsstellen, Leistungserbringende und Fachpersonen einen grossen Ermessens- und Handlungsspielraum.

In der abschliessenden Podiumsdiskussion betonte Joanna Bärtschi von der SODK die Bedeutung dieser Dialogveranstaltungen. Dabei gehe es nicht nur um die Forschungsresultate, welche noch zu erwarten seien. Gefallen haben ihr die Gespräche mit den Kantonen, die sich Gedanken machen und sich fragen würden, wie sie die Situation für die Pflegekinder verbessern können. Für Manuela Krasniqi vom Bundesamt für Sozialversicherungen BSV ist der Weg das Ziel. Dass man über die gegenwärtige Situation rede und sich mit anderen austausche, sei entscheidend. Auch Diana Wider von der KOKES hatte Freude, dass dieser Austausch in Gang gekommen sei, und sie dankte in diesem Zusammenhang der Palatin-Stiftung, welche diesen Dialog im Rahmen des nationalen Forschungsprojekts «Pflegekinder – next generation» ermöglicht.

«Die Forschung muss den Pflegekindern zugutekommen»

Im Rahmen der Dialoggruppe Wissenschaft begrüsste die Palatin-Stiftung am 1. November 2022 Vertreterinnen und Vertreter aus der Forschung auf dem ZHAW Campus im Zürcher Toni Areal. Der lebendige Austausch gab der Forschungsgruppe die Möglichkeit, ihre Zwischenergebnisse zu spiegeln und wichtige Inputs für die letzte Schlussphase der Studien zu erhalten.

Der emeritierte Professor Klaus Wolf von der Universität Siegen eröffnete die Dialogveranstaltung mit Reflexionen zum Projekt der Palatin Stiftung. Ganz zu Beginn habe er sich die Frage gestellt, ob die Stiftung mit dem Projekt einen Beitrag zur internationalen Forschung leisten, oder aber konkrete Projekte fördern wolle, die die Bedingungen der Pflegekinder tatsächlich verbessern. Für die Stiftung war klar: das Projekt soll beides leisten. Die Forschung muss hier Instrument für die Praxis sein. Wolfs Plädoyer für die wissenschaftliche Arbeit lautet daher: «Forschung muss nicht nur wahr sein, sondern Forschung muss nützlich sein.»

Wie kann die Bedeutung von Partizipation in der Forschung erschlossen werden?

Nach dieser Einleitung in den Nachmittag geht das Wort an Professor Stefan Köngeter von der Ostschweizer Fachhochschule St. Gallen. Dieser vermittelte den Zuhörerenden einen Einblick in die laufende Studie zur Partizipation von Pflegekindern mittels Agency-Analyse. Ziel ist es, die Erfahrungen von Handlungsmöglichkeiten der Kinder und Jugendlichen zu rekonstruieren, und ihre Bedeutung für die Partizipation zu erschliessen.

Dr. Anette Cina von der Universität Fribourg erzählt von den ersten Erkenntnissen aus den qualitativen Interviews mit den Pflegekindern. Dabei zeigte sie, dass es eine grosse Herausforderung ist, Pflegekinder in wissenschaftlichen Befragungen zu erreichen. Die Anzahl der befragten Pflegekinder blieb bis dahin weit hinter den Erwartungen.

Wie wird über die Begleitung von Pflegeverhältnissen geforscht?

Nach einer kurzen Kaffeepause berichtete das zweisprachige Forschungsteam der Studie «Gute Begleitung von Pflegekindern» zur Rolle von «Gatekeepern» im Pflegekinderumfeld als eine mögliche Erklärung für den herausfordernden Feldzugang. Auch dieser Präsentation folgte eine angeregte Diskussion mit den Gästen. Der multiperspektivische Ansatz, den das Team verfolgt, ist dabei auf grosses Interesse gestossen. Er wird der Tatsache gerecht, dass Pflegeverhältnisse komplexe Systeme sind mit vielen Beteiligten, die mit ihrer je eigenen Sicht auf das Geschehen prägen.

Welches sind die Rahmenbedingungen von Pflegekinderverhältnissen in der föderalen Schweiz?

Das dritte Forschungsteam hat dazu eingeladen, die Familienpflege aus der Vogelperspektive zu betrachten. Welches sind die Strukturmerkmale der kantonalen Pflegekindersysteme? Welche Unterschiede gibt es und wie wirken sich diese aus? Professorin Anna Maria Colombo von der HETS FR und Professorin Angela Rein von der FHNW präsentieren das Bild auf eine vielfältige Landschaft: Die Kantone organisieren den Pflegefamilienbereich in unterschiedlicher Weise. Mittels Kategorien lässt sich eine erste Typologie erkennen, die noch weiterbearbeitet werden soll. Auch diese Forschungsgruppe konnte wertvolle Rückmeldungen aus der kritischen Diskussion mitnehmen für die Weiterarbeit.

Interview mit Joanna Bärtschi

 

Die Projektgruppe «Forschung & Entwicklung» besteht aus ausgewiesenen Fachpersonen, die das Projekt «Pflegekinder – next generation» von Beginn an begleiten. Mitglied ist auch Joanna Bärtschi, Fachbereichsleiterin Kinder und Jugend der SODK. Im Interview erklärt sie, warum die SODK grosse Erwartungen an das Projekt hat und in welchen Punkten die SODK besonders an Ergebnissen interessiert ist.

 

Warum engagiert sich die SODK beim Projekt «Pflegekinder – next generation»?

 

Die Unterbringung von Kindern und Jugendlichen ausserhalb ihrer Herkunftsfamilie gehört zu den Schwerpunktthemen der SODK. Wir engagieren uns in diesem Bereich insbesondere für qualitative Mindeststandards und für die Stärkung der Rechte der betroffenen Kinder und Jugendlichen. Bisher hat sich noch kein anderes Projekt in dieser Grössenordnung mit den grundlegenden Fragen beschäftigt, die im Rahmen des Forschungsprojekts „Pflegekinder – next generation“ behandelt werden. Wir sind davon überzeugt, dass die Ergebnisse dieser Studien und der im Rahmen des Projekts stattfindende Austausch dazu führen werden, dass die betroffenen Kinder und Jugendlichen und ihre Bedürfnisse noch stärker in den Mittelpunkt rücken.

 

Wurde in der Vergangenheit die Situation der Pflegekinder im Diskurs vernachlässigt?

 

In den letzten Jahren, insbesondere im Zuge der Professionalisierung der Kinderschutzbehörden, hat die Situation von Pflegekindern aus meiner Sicht an Aufmerksamkeit gewonnen. Die durchgeführten Studien und Debatten drehten sich jedoch viel um die Verfehlungen, die in der Vergangenheit gemacht wurden. Es ist jedoch unerlässlich, dass man sich jetzt mit der Situation der heutigen Pflegekinder, deren genaue Zahl nicht einmal bekannt ist, befasst, damit ihre Rechte besser verteidigt werden können.

 

Drei Themenkomplexe werden untersucht. Da geht es um die Partizipation, um die gute Begleitung und um den Vergleich der kantonalen Strukturen. Was interessiert die SODK bei der Partizipation?

 

Nach Ansicht der SODK muss die Partizipation von Pflegekindern in allen Phasen der Unterbringung gewährleistet sein und dem Alter des Kindes angepasst werden. Dies ist heute noch nicht durchgängig der Fall. Uns interessiert insbesondere, wie wir die Pflegekinder zur Partizipation befähigen können. Aber auch die Frage, wie die Pflegekinder und ihre Bezugspersonen stärker in das Entscheidungsverfahren, das sie direkt betrifft, einbezogen werden können. Ausserdem möchten wir wissen, ob die involvierten Akteure die Partizipationsmöglichkeiten voll ausschöpfen. In Bezug auf diese Fragen möchten wir wissen, welche positiven Beispiele aus der Praxis (Best Practice) existieren, von denen sich die Kantone inspirieren lassen könnten.

 

Was interessiert die SODK bei der Frage nach der «guten Begleitung»?

 

Eine Unterbringung in einer Pflegefamilie oder Institution kann zu einem Bruch in der Biographie führen oder als solcher wahrgenommen werden. Deshalb sind diese Kinder und Jugendlichen in vielen Fällen besonders verletzlich.  Kindern und Jugendlichen gebührt besondere Aufmerksamkeit durch die öffentliche Hand. Häufig ist ihr Helfernetz relativ klein. Darüber hinaus sind die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen in Pflegeverhältnissen von Situation zu Situation unterschiedlich und ändern sich auch im Laufe der Zeit. Wie kann man vor diesem Hintergrund den Betreuungsbedürfnissen dieser Kinder und Jugendlichen am besten gerecht werden, um negative Auswirkungen auf ihre langfristige Entwicklung zu vermeiden? Die Beantwortung dieser Frage, auch hier sicherlich anhand von positiven Praxis-Beispielen, ist für uns von besonderem Interesse.

 

Und was bei dem Vergleich der kantonalen Strukturen?

 

Wir wissen, dass die kantonalen Strukturen im Bereich der ausserfamiliären Unterbringung von Kanton zu Kanton sehr unterschiedlich organisiert sind. Und bis heute fehlt uns diesbezüglich ein Überblick. Vor diesem Hintergrund ist es nicht einfach, Überlegungen auf interkantonaler Ebene anzustellen. Die Ergebnisse der Studie werden ein guter Ausgangspunkt sein. Zudem ist es in diesem Bereich nicht ungewöhnlich, dass Kinder und Jugendliche in anderen Kantonen als ihrem Herkunftskanton platziert werden. Die Organisation der Strukturen besser zu kennen, wird die Zusammenarbeit zweifellos erleichtern.

 

Sie sagen es – gerade der Vergleich der kantonalen Strukturen zeigt einen kleineren Flickenteppich im Bereich des Pflegekinderwesens. Funktioniert das so?

 

Die Tatsache, dass die Organisation von Kanton zu Kanton unterschiedlich ist und die Schweizer Landschaft in diesem Bereich sehr heterogen ist, hat aus unserer Sicht keine direkten Auswirkungen auf die individuellen Situationen. Aber es erschwert zweifellos die Debatte und das Nachdenken auf interkantonaler Ebene. Generell sind wir für mehr Transparenz, was durch die vergleichende Studie der kantonalen Strukturen noch verstärkt wird.

 

Gemeinsam mit den Forschungsteams sowie Vertretenden der Konferenz für Kindes- und Erwachsenenschutz (KOKES), der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK) und des Bundesamts für Justiz (BJ) findet am 8. November 2022 Morgens eine spezifische Dialoggruppe statt. Diese richtet sich an Fachpersonen aus KESB, Berufsbeistandschaften und Jugend- und Sozialdienste und widmet sich den Themen «Partizipation» und «Gute Begleitung». Was wollen Sie mit diesen Fachpersonen diskutieren?

 

Ziel dieser Dialoggruppe ist es, die Forschungsergebnisse des Projekts „Pflegekinder – next generation“ zum Thema „Partizipation“ und „gute Begleitung“ mit den Erfahrungen und Praktiken von Fachleuten zu vergleichen. Die SODK und die KOKES haben im November 2020 Empfehlungen zur ausserfamiliären Unterbringung veröffentlicht. In diesen Empfehlungen werden bereits Qualitätsstandards in Bezug auf diese beiden Themen in Form von allgemeinen Grundsätzen dargestellt. Im Rahmen dieser Dialoggruppe sollen auf der Grundlage der Ergebnisse der Studie Diskussionen über konkretere und detailliertere Aspekte im Zusammenhang mit dem Thema „Partizipation“ und „gute Begleitung“ geführt werden.

 

Am 8. November 2022 nachmittags findet eine weitere spezifische Dialoggruppe statt. Dabei steht der «Vergleich von kantonalen Strukturen» im Zentrum. Was möchten Sie mit dieser Gruppe spiegeln?

 

Das Forschungsteam wird seine Ergebnisse vorlegen. Für die SODK bietet die Dialoggruppe mit Vertretern der Direktionen der kantonalen Ämter und der kantonalen Verantwortlichen hier die Chance, die Bedürfnisse auf interkantonaler Ebene zu erfahren. Eventuell wird die Forderung nach politischen Vorstössen laut, oder es ertönt der Ruf nach mehr Koordination oder nach mehr Austausch bewährter Praktiken. Auf der Grundlage der Diskussion in dieser Dialoggruppe wird die SODK prüfen, ob sie zu diesem Thema etwas unternehmen soll.

Dialog zum Mithören

Zwischenberichte auf dem Prüfstand

Gabriele E. Rauser, Geschäftsleiterin Integras, und Karin Meierhofer, Geschäftsleiterin PACH, sind Teil der Projektgruppe «Forschung & Entwicklung». Sie haben sich intensiv mit den Zwischenberichten der drei Forschungsprojekten beschäftigt. Im Interview reflektieren sie über erste Erkenntnisse.

Erfolgreiche nationale Fachtagung

«Direktes Feedback» in Biel

Gedanken aus der Entwicklungspsychologie

Nationale Fachtagung 2021