Interview mit Jacqueline Burckhardt

Das Forschungsprojekt «Pflegekinder – next generation» ist ein Leuchtturmprojekt der Palatin-Stiftung. Das Projekt wird von der Basler Stiftung über mehrere Jahre nicht nur finanziert, sondern auch direkt geleitet. Im Interview erklärt die Präsidentin der Palatin-Stiftung, Jacqueline Burckhardt, woher dieses Interesse am Pflegekindersystem stammt.

Jacqueline Burckhardt, die Palatin-Stiftung setzt sich für die Zukunftschancen von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen ein. Woher kommt dieses Engagement?

Dem Stifter war es ein grundlegendes Anliegen, dass Kinder unterstützt werden, die sich in einer schwierigen Lebenssituation befinden, die nicht dieselben Chancen haben wie andere Gleichaltrige. Wohl ist dieses persönliche Engagement des Stifters aus dessen eigenen Geschichte entsprungen. Er ist selber aus einer schwierigen Position gestartet und wurde erst über Umwege ein erfolgreicher Unternehmer. Als älterer Herr hat er sich schliesslich Gedanken gemacht, wie er sein Geld weitergeben könnte. So ist die Palatin-Stiftung entstanden und deren Auftrag, etwa die Chancengleichheit von Pflegekindern zu erhöhen.

Die Unterstützung von Projekten ist das eine, den Lead in einem Riesenprojekt zu übernehmen, das andere. Warum ist man bei «Pflegekinder – next generation» diese Verpflichtung eingegangen?

Als Stiftung, die gut aufgestellt ist und finanziell beachtliche Möglichkeiten hat, wollen wir die Mittel so einsetzen, dass die Vergabungen auch eine Wirkung entfalten. Der Stifter, der inzwischen verstorben ist wollte mit seiner Stiftung eine Veränderung bewirken und so nutzen wir die Mittel heute so, dass wir die Projekte auch mitgestalten können – über eigenes Engagement. Vor diesem Hintergrund ist der Entschluss gereift, zusammen mit PACH und INTEGRAS das Leuchtturmprojekt «Pflegekinder – next generation» zu entwickeln.

Das Projekt «Pflegekinder – next generation» zielt darauf ab, die Bedingungen, unter denen Pflegekinder in der Schweiz aufwachsen, langfristig zu verbessern. Übernimmt Ihre Stiftung hier nicht eine ureigene staatliche Aufgabe?

Tatsächlich sind viele private Stiftungen in Bereichen aktiv, die eigentlich eine staatliche Aufgabe darstellen. Wir haben selbstverständlich ein vom Staat getragenes System für die Pflegekinder, aber die Analyse und der Anstoss für Verbesserungen der heute weitgehend kantonal geregelten Pflegekindersysteme können wohl nur von Privaten kommen. Hier macht es durchaus Sinn, wenn etwa Stiftungen wie die Palatin-Stiftung einspringen und die Lücke füllen. Wenn man etwa das Pflegekindersystem betrachtet und die Unterschiede in den Kantonen sieht, dann schadet es definitiv nicht, wenn man die Thematik aufarbeitet – zugunsten der Kinder.

Anders gefragt: Gibt es sogar Vorteile, wenn eine Stiftung aktiv wird?

Ich denke, ja. Als Stiftung agieren wir ohne politische Agenda, wir gehen völlig ergebnisoffen an die Sache heran. Wir wollen wissen, was ist. Und wir wollen wissen, was man verbessern könnte. Die Rezeption der Ergebnisse ist dann Sache der Politik und der Fachwelt.

Apropos Politik und Fachwelt: In einer Projektgruppe, welche unter anderem die besten Projekte der Schweizer Hochschulen bestimmt hat, sind auch Vertreterinnen der SODK, KOKES und des BSV vertreten. Weshalb ist diese Anbindung wichtig?

Diese Projektgruppe «Forschung & Entwicklung» besteht aus ausgewiesenen Fachpersonen, welche das Projekt «Pflegekinder – next generation» begleiten. Dies ist wichtig, damit wir frei, aber immer mit einem Bezug zur Praxis, die Forschung und damit das Pflegekinderwesen voranbringen können. Die Vertreterinnen arbeiten auf höchstem Niveau. Fachlich ist das fantastisch, die Diskussionen sind spannend und absolut fundiert. Von der Forschungsausschreibung bis zur Wahl der Projekte haben wir sehr gut zusammengearbeitet und sind mit grossen Schritten vorangekommen.

«Partizipation von Pflegekindern», «Gute Begleitung von Pflegeverhältnissen», «Vergleich von kantonalen Strukturen» – die Projektgruppe hat sich auf drei Themen fokussiert. Warum eigentlich?

Die genannten Themen sind das Ergebnis der umfassende Forschungsbedarfsanalyse, welche die Grundlage für das gesamte Projekt ist. Wir haben den Forschungsstand den Wissensinteressen aus der Praxis gegenüberstellt und hieraus letztlich die drei Themen abgeleitet. Wie gesagt: Wir wollen dort forschen, wo es Lücken gibt, dort aktiv sein, wo Verbesserungen möglich und nötig sind.

Klar war immer auch, dass die Forschung über die Sprachgrenzen hinaus stattfinden soll. Ist dieser Punkt so wichtig?

Ja, er ist sogar zentral. Die italienische Schweiz und die Romandie müssen einbezogen sein, weil sie, ich sage es salopp, «anders ticken». Wir kriegen nur gute Erkenntnisse, wenn wir verstehen, warum es in der Schweiz Unterschiede im Pflegekindersystem gibt. Wir fragen: Wieso ist es hier und dort anders, funktioniert es irgendwo besser, oder ist es nur anders, weil die Kultur eine andere ist?

Allein für die Forschung stellt die Palatin-Stiftung 800’000 Franken zur Verfügung. Was für Erwartungen verbinden Sie damit?

Ich erwarte, dass diese Forschung zu merklichen Verbesserungen im System führt, damit die Pflegekinder eine noch bessere Chance in ihrem Leben haben. Ich hoffe somit auf fundierte Erkenntnisse, die bestehende Lösungen stützen oder neue Lösungsansätze aufzeigen. Forschung hat für mich auch mit Fakten zu tun: Ich möchte nicht nur, dass sich die Gesellschaft «liebevoll» um die Kinder kümmert, sondern auch «professionell». Und darum muss man wissen, was man macht, und wie es wirkt.

Und wenn die Erkenntnisse letztlich nach einer politischen Antwort verlangen? Wird die Palatin-Stiftung dann plötzlich auch politisch?

Dies steht nicht im Vordergrund. Aber wenn dies im Interesse der Kinder sein sollte, habe ich persönlich keine Berührungsängste. Zunächst müssen wir jedoch die Grundlagen für allfällige Anpassungen schaffen. Die Bühne gehört jetzt voll und ganz der Forschung.